Beim Flaucherfranzl läuft‘s nicht
München - „Waaaas? Eure neue Wohnung hat nur einen Balkon?“ Auf dem Gehsteig im Dreimühlenviertel herrscht hektische Betriebsamkeit. Jungmütter stecken bedeutungsschwanger die Köpfe zusammen. Alle tragen bis zum Knöchel reichende, tiefschwarze Daunenmäntel, um der Betroffenen ihr Beileid auszudrücken. Schon schlimm, mit der Wohnungsnot in München. Ich will einfach nur vorbeijoggen, als der freche Finn die Handbremse seines Kinderwagens löst und bedrohlich schnell auf mich zurollt. Nur ein beherzter Sprung in die anliegende Hecke verhindert das Dreimühlen-Drama. „Es wird immer gefährlicher da draußen“, denke ich, schüttele die Dornen ab – und laufe los.
Aber die Unternehmensberater haben etwas dagegen/verhindern Entspannung. Sie wissen schon: Die Damen und Herren mit den kleinen weißen Knöpfchen im Ohr (UND WAS ZEICHNET DIE NOCH AUS?) Bis zur Brudermühlbrücke habe ich bereits drei „Businesscalls“ belauscht. Die Mitläufer (KONKRETER) telefonieren so laut, dass sogar die anwesenden Haselmäuse aus ihrem Winterschlaf erwachen. Von Leuten, die „nicht im Loop“ seien, höre ich. Und von solchen, die man „nun endlich mal abholen“ müsse. Von wo denn eigentlich? Unternehmensberater zu sein, muss ganz schön anstrengend sein.
Warum bin ich eigentlich hier? Im Sommer liege ich oft am Isarstrand und bemitleide/verachte die vorbeiziehenden Athleten. Während sie ihre work-life-balance aufpolieren, errichtete ich mithilfe mitgeführter Kaltgetränke den „Schiefen Turm von Isar“. Jetzt gehöre ich selbst zu den verirrten Seelen, die den Fluss entlang joggen, um mich selbst zu optimieren. Immerhin verachte ich mich dafür. KONKRETER: Eisige Temperaturen, Essigduft in der Funktionsjacke. Andere scheinen mit Stirnlampe und XY ihre Berufung gefunden zu haben. Nicht weit vom Tierpark löst sich ein verhinderter Profifußballer aus meinem Windschatten und zieht erbarmungslos vorbei. Kurze Zeit später bricht er unter der Last seiner willkürlich aufgeklebten Kinesiotape-Streifen zusammen. Ich lasse diesen Lappen einfach liegen.
Um fünf merkt man, dass Bürozeit vorüber. Dann kriechen die Athleten, die sich qua Funktionsshirt als Absolventen des hiesigen Stadtlaufs ausweisen, aus ihren Unterföhringer Bürozellen und fluten die Isarauen. Dass sie den Englischen Garten röchelnd durchquert haben, steht nicht auf den Trikots. Uniformierte Trottel. Ritterrüstung des modernen Mannes.
Nahe Trimmdichpfad terrorisieren Ironman-Athleten arglose Rentner. xy Steps auf Parkbönken, Klimmzüge an Isarbrücke, auch bei Minusgraden in kurzer Hose.
Nun habe ich endgültig genug, will einfach nur noch heim. Zurück ins Dreimühlenviertel. Die Joggingschuhe für immer an den Nagel hängen. Über mir knallt ein Sektkorken, als ich auf die Zielgerade einbiege. Die Jungmütter von vorhin haben sich auf dem Balkon versammelt, um Finns Aufnahme in den Waldkindergarten zu feiern. Für einen kurzen Moment bin ich abgelenkt und jogge in ein mitten auf dem Gehweg geparktes Lastenrad. Finns Mutter macht xy, schüttelt den Kopf und seufzt: „Es wird immer gefährlicher da draußen.“